Wenn aus Sternen Zahnräder werden

Ausflugstipp zur Ausstellung „Maschinenraum der Götter“ im Liebieghaus

Ich sitze an meinem Laptop und schreibe einen Ausflugstipp, der dann online im mainkur:ier zu lesen sein wird. Oh, Moment mal, wenn Sie jetzt gerade diesen Text lesen, werde ich ihn ja bereits geschrieben haben. Ganz schön vertrackt, diese Spielerei mit den Zeitachsen. Aber sie passt gut zum Thema: Es geht um die Sonderausstellung im Liebieghaus am Schaumainkai, die den genialen Titel „Maschinenraum der Götter“ trägt. Untertitel: „Wie unsere Zukunft erfunden wurde“. Dass ich jetzt diesen Text in einen Computer tippen und ihn jeder bequem von zuhause aus an seinem eigenen PC lesen kann, verdanken wir jenen neugierigen Menschen in Mesopotamien, die schon im dritten Jahrtausend vor Christus den Himmel beobachtet und erforscht haben. Die Bewegungen von Planeten und Sternen dienten als Vorbild für die Entwicklung einer künstlichen Mechanik. Es geht also zeitlich ganz weit zurück im Liebieghaus – und doch ist alles so überraschend nah. Faszinierend!

Das Liebieghaus beherbergt eine umfangreiche Skulpturensammlung aus der Zeit vom Alten Ägypten bis zum Klassizismus in einer Dauerausstellung in der ehemaligen Gründerzeitvilla des Barons von Liebieg. Die Sonderausstellung „Maschinenraum der Götter“ ist nicht etwa in einem gesonderten Trakt untergebracht, sondern zieht sich durch sämtliche Räume. Ich nehme an einer Überblicksführung teil. Im Mittelpunkt des Rundgangs, der eine Zeitspanne von mehr als fünf Jahrtausenden umfasst, steht die Geschichte der Wissenschaften in den antiken, arabischen und asiatischen Kulturen sowie ihrem Einfluss auf die Entwicklung der Kunst. Die Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst macht schon der griechische Begriff „techne“ deutlich, der für alle Künste steht – ob Ingenieurs- oder Baukunst.

Von der Keilschrift und dem Satz des Pythagoras über den Bau der Pyramiden geht es zur griechischen Mythologie und Heldengedichten aus dem siebten und sechsten Jahrhundert vor Christus, in denen bereits über goldene Roboter, die die Götter bedienen, Raumschiffe und Hightech-Waffen fabuliert wird. Die Besucher lernen Hephaist kennen, der neue Waffen für den Helden Achill schmiedet, den Erfinder Dädalus, der seinem Sohn Ikarus im wahrsten Sinne des Wortes Flügel  verleiht, den Titan Prometheus, der künstlich Menschen mittels Bauplan und Maschine produziert und Ixion, der für seine Vergehen auf ein Feuerrad gebunden wird, womit er am Himmel kreisen muss. Die Ausstellung gibt Einblicke in das Goldene Haus des römischen Kaisers Nero: Einen riesigen Palast mit Kuppel und einem Speisesaal, der sich mittels Mechanik langsam im Kreis dreht. Die Camera Obscura sowie bewegte Bilder werden ebenfalls thematisiert.

Und immer wieder geht es um den Blick in den Himmel, die Anfänge der Astronomie. Zu sehen ist ein Nachbau der Sphaira des Archimedes: Der Apparat soll mit Gewichten oder Wasserkraft angetrieben worden sein und zu jeder Zeit – aus Sicht der Erde – die korrekte Position der Planeten und Fixsterne angezeigt haben.

Der Nachbau der Sphaira des Archimedes
Der Nachbau der Sphaira des Archimedes

Passend dazu ist eine Statue des Atlas, der das Himmelsgewölbe trägt, beeindruckend in Szene gesetzt: Der Titan hat einen eigenen, abgedunkelten Raum bekommen. Dort ist er umgeben von leuchtenden Sternbildern und Tierkreiszeichen. (Titelbild)

Natürlich ist auch der Sensationsfund „Der Mechanismus von Antikythera“ dabei. Vor 120 Jahren entdeckten Schwammtaucher in einem Schiffswrack, das auf das dritte bis erste Jahrhundert vor Christus datiert wird, neben Statuen auch zunächst undefinierbare Bronzeklumpen. Wie neueste Forschungen ergeben haben, handelt es sich dabei um einen hochkomplexen Zahnradmechanismus – ein astronomisches Präzisionsinstrument, mit dem nicht nur die Positionen der Sterne bestimmt wurden, sondern das auch kommende Sonnen- und Mondfinsternisse berechnet hat. Der Mathematiker Tony Freeth, der das Wunderwerk mit seinem Forschungsteam weiter untersucht, spricht von einem 2000 Jahre alten Computer. In der Ausstellung kann man Filme über den bahnbrechenden Fund anschauen.

Das „Goldene Zeitalter des Islam“, die Zeit zwischen dem achten und 13. Jahrhundert, wird ebenfalls beleuchtet. Das Modell eines Observatoriums ist ausgestellt, ebenso ein astronomisches Präzisionsinstrument: das Universalastrolabium von Aḥmad Ibn as-Sarrāǧ.

Das Universalastrolabium von Aḥmad Ibn as-Sarrāǧ.
Das Universalastrolabium von Aḥmad Ibn as-Sarrāǧ.

 Ein schönes Exponat ist auch die Becheruhr von al-Ǧazarī, die allerdings nicht der Zeitmessung dient, sondern zur Begrenzung der Redezeit von Politikern. Noch weiter östlich schaffen indische Gelehrte die Grundlagen der modernen Astronomie und Mathematik, in China werden Kunsttechnologien wie die Produktion von Porzellan und der Buchdruck mit beweglichen Schriftzeichen aus Porzellan entwickelt.

Es geht nun in die europäische Renaissance, wo sich Nikolaus Kopernikus für das Modell eines heliozentrischen Weltbilds stark macht, das durch die Entdeckung des Fernrohrs und Beobachtungen von Galileo Galilei schließlich bewiesen werden kann. Mit dem Ausstellungsstück eines programmierbaren Webstuhls wird ein Blick in das 18. Jahrhundert geworfen. Zum Abschluss ist die Statue Apollo Kithara des zeitgenössischen Künstlers Jeff Koons zu sehen. Das Besondere an der farbenfrohen Skulptur, die Antike und Moderne vereint, ist der bewegliche Python, der einem mit dem Blick folgt und züngelt. Rein mechanisch versteht sich.

Das Liebieghaus lässt sich von Fechenheim aus mit der Straßenbahnlinie 11 und einem kleinen Spaziergang gut erreichen: Bis Willy-Brandt-Platz fahren, dort über die Untermainbrücke laufen und rechts den Schaumainkai entlanggehen. Kurz hinter dem Städel ist das Ziel (Schaumainkai 71) erreicht. Mit dem Fahrrad geht‘s natürlich auch! Unter liebieghaus.de gibt es weitere Infos, etwa zu Eintrittspreisen, Reservierungen und Programmpunkten. Die Sonderausstellung „Maschinenraum der Götter“ ist bis 10. September zu sehen. Statt einer Führung kann man den Rundgang auch per Audioguide unternehmen. Dazu gibt es Leihgeräte oder man lädt sich den Guide aufs Smartphone. Dann empfiehlt es sich, die eigenen Kopfhörer mitzubringen. Übrigens ist das Café im Liebieghaus ebenfalls einen Besuch wert. Es schließt allerdings schon um 18 Uhr.

2 Gedanken zu „Wenn aus Sternen Zahnräder werden“

  1. Vielen Dank Frau Hagemann für Ihren Hinweis auf die Ausstellung im Liebighaus, Da ich nicht in Person dort hingehen kann, weil ich in USA lebe, war es mir möglich, ein Video darüber in YouTube zu finden. Es ist faszinierend , von dem Fortschritt der Menschheit zu lernen in bezug auf Kunst und Technik.

    Ihre Ursula Nolte

    Antworten
  2. Liebe Sabine,
    ein neugierig machender, informativer Artikel, der sowohl Lust auf die Ausstellung im Liebighaus macht, als auch schon beim Lesen Wissenszuwachs ( Beispiel: der Python und nicht wie von den meisten – und so auch mir- benutzt, die Python) bietet!
    Vielen Dank!
    Heike Nichau

    Antworten

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