Mit Fäusten und Ellenbogen

Geimpft, genesen oder getestet – vieles ist wieder möglich. Einige freuen sich auf das Bad in der Menge, tauchen ohne Angst, Nebengedanken und Maske hinein ins 2G- oder 3G-Geschehen. Andere sind vorsichtiger, stecken sozusagen erst mal den großen Zeh ins Wasser, prüfen die Temperatur, treffen sich mit wenigen ausgewählten Menschen, die so lange zu meiden waren. So oder so ist es toll, wieder echte Menschen zu sehen, die dreidimensional und fassbar – anfassbar – vor einem stehen.

Das erste Treffen in der realen Welt. Groß ist die Wiedersehensfreude, holprig die Begrüßung. Umarmung? Küsschen links und rechts – oder erst rechts dann links? Handschlag? Oder doch lieber die Corona-Faust? Corona-Ellenbogen?

Fäuste und Ellenbogen – weder das eine noch das andere steht für ein friedliches Miteinander. Heute sagt man so symbolisch dem Virus den Kampf an. Die ausgestreckte Faust, der spitze Ellenbogen als Ersatz für Händedruck und Umarmung und gleichzeitig als Warnung an das Virus.

Manchmal frage ich mich, inwieweit diese neue Art der Begrüßung auch insgesamt unseren Umgang miteinander widerspiegelt. Der Ton in der Gesellschaft wurde in meiner Wahrnehmung bereits vor Corona immer rauer – sei es im Straßenverkehr, im politischen oder weltanschaulichen Diskurs.

Zunehmend unversöhnlich und unüberwindbar standen und stehen sich Menschen mit unterschiedlicher Meinung gegenüber: egal ob Klimawandel, Tempolimit oder Coronapandemie. Ein Miteinander-Diskutieren, ein Einander-Zuhören, ein Sich-Gegenseitig-Ausreden-Lassen sind oft nicht möglich. Und der Punkt, an dem entweder das Sich-Gegenseitig-Niederschreien oder das resignierte „Schweigen, weil es ja doch nix nützt“ einsetzt, ist selten weit entfernt. Sind keine Sachargumente (mehr) vorhanden, wird schnell zu verbalen persönlichen Angriffen und Beleidigungen gegriffen. Wenn diese dann sogar noch in Morddrohungen oder gar körperlichen Angriffen münden, ist das unfassbar und keinesfalls herabzuspielen oder zu tolerieren.

Fäuste und Ellenbogen – ich hoffe, dass sie derzeit „nur“ unser Begrüßungsritual durcheinandergebracht haben und sich keinen festen Platz in unserer Diskurskultur erobern.

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