Mariia Bykova – Illustratorin und Malerin

Zunächst waren da die wunderschönen, märchenhaften Plakate, die überall auftauchten: Werbung für das Friedensfeuer im Kirchhof der Melanchthonkirche und das sehr erfolgreiche Konzert zur Solidarität mit der Ukraine ebendort, aber auch die Ankündigung ihrer eigenen Ausstellung, die vom 9. April 2022 an im Kulturpavillon auf dem Fechenheimer Friedhof stattfindet.

Bei dem ersten Friedensfeuer habe ich (Brigitte) sie dann das erste Mal länger persönlich erlebt. Eine zierliche Frau voller Energie und Klarheit, erschüttert, aber nicht verzweifelt, wenn sie von den fürchterlichen Erfahrungen ukrainischer Flüchtender berichtet. Mariia ist seit fast 10 Jahren Fechenheimerin und meine Redaktionskollegin Annika Bracht und ich wollten unbedingt mehr über sie erfahren. Drei Stunden dauerte dann unser gemeinsames Frühstück mit Croissants und ich hoffe sehr, dass noch weitere gemeinsame Stunden folgen.

Aufgewachsen als Ukrainerin in der Sowjetunion

Mariia wurde in Kyiv (Kiew) geboren und ist dort aufgewachsen. Mütterlicherseits hat sie einen russisch-jüdischen Hintergrund und auch ihre erste Muttersprache ist Russisch. „In der damaligen Sowjetunion wurde Ukrainisch als Sprache unterdrückt, wir durften es erst ab der 4. Klasse lernen“. Noch 15 Jahre lang hat sie die Sowjetunion miterlebt, und war froh, als die Ukraine 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte.

Ursprünglich wollte sie Diplomatin werden und studierte in Kyiv Geschichte bis zum Masterabschluss. „Durch das Studium habe ich viel über die jahrhundertealte Geschichte der Ukraine und ihre Unterdrückung durch Russland gelernt“.  Während des Studium musste sie sich und ihre Familie durch eine Arbeit als Sekretärin finanzieren. Nachdem sie in dieser Rolle aber einmal für die ukrainische Botschaft in Havanna (Kuba) gearbeitet hatte, war ihr klar, dass sie keine Beamtenlaufbahn mehr einschlagen wollte.

Weitere Auslandserfahrung sammelte sie dann in Wien und Zypern, als sie für eine österreichische Firma als Projektmanagerin arbeitete. Parallel dazu hatte sie aber auch bereits ein Fotografie-Studium in Kyiv aufgenommen. Von 2004 an war sie für zehn Jahre als professionelle Fotografin tätig, unter anderem auch auf dem Majdan bei der „orangenen Revolution“.
Sie fotografierte in dieser Zeit auf Hochzeiten, für Reportagen, Portraits, am liebsten in Nachtclubs. Ihr erstes großes Fotografie-Projekt inszenierte kritisch die von ihr empfundene Hässlichkeit moderner ukrainischer Architektur. In vielen Projekten arbeitete sie mit bildenden Künstlern zusammen und dieses Umfeld ließ in ihr den Wunsch wachsen, selbst künstlerisch tätig zu werden.

Nachdem sie dann 2012 zu ihrem Mann nach Deutschland gezogen war, beschloss sie, die Fotografie ganz aufzugeben und sich nur noch ihren Illustrationen und der Malerei zu widmen. „Die Zeit in Deutschland und besonders Fechenheim hat es mir ermöglicht, noch einmal meinen Beruf zu wechseln. Das ist ein wirkliches Privileg“.

„Es ist eine Gnade, hier so nahe an der Natur zu wohnen“

Mariia fühlt sich in Fechenheim außerordentlich wohl: „In Fechenheim bist du so richtig in einem Dorf, aber mit Menschen mit städtischen Einstellungen. Es ist eine gute Kombination zwischen Stadt und Natur.“

Sie nutzt die beiden Coronajahre, um den Stadtteil und die ihn umgebende Natur intensiv wahrzunehmen, zu zeichnen und zu malen. Eine Zeitlang lebt sie mit ihrem Mann eher zurückgezogen, aber findet immer Unterstützung, wenn sie sie braucht. Besonders dankbar ist Mariia Sabine Lauer und dem Verein PolymerFM e.V. für die Hilfe und guten Ratschläge bei der Umsetzung ihrer Ideen. Eine Zeitlang hat sie im Eastside Atelier auch gemalt. „Heute arbeite ich hauptsächlich von zu Hause, weil ich meine Arbeiten auch über Nacht liegen lassen muss.“

Märchenwelten, Natur und Hausfassaden – Mariias Kunst

Mariias Portfolio besteht aus Naturmotiven, Architekturinterpretationen und märchenhaften Illustrationen. Deutlich erkennbar im Stil ihrer Werke ist ihr Lieblingsfilmgenre: Zeichentrick. Es sind farbenreiche Bilder voller Fabelwesen, Blumen und mythisch anmutenden Figuren. Mariia ist ein großer Märchenfan. „Märchenwahrheiten sind universell“, erklärt sie uns. „Es ist egal, ob sie aus einer anderen Kultur als deiner stammen. Als Deutsche wirst du ein ukrainisches Märchen verstehen und umgekehrt.“ Die Blumenmotive stammen fast alle aus Fechenheim und Umgebung: Mariia sammelt die Blumen entlang des Mainufers und zeichnet sie dann zuhause ab. Ihre Arbeiten beginnen eher intuitiv, ohne ein festes Konzept. Sie startet gerne mit kleineren Motiven und lässt das Bild dann wachsen. Am liebsten arbeitet sie im Kleinformat und zeichnet ihre Motive mit Bleistift oder Tusche vor. Zur Kolorierung verwendet sie farbige Tusche, auch auf der Leinwand.

In ihren Werken zeigt sich auch ihre Begeisterung für Geschichte. Ihre Reihe ‚Bestiarium der Quarantäne‘ ist inspiriert von den mittelalterlichen Originalquellen, die sie während der Corona-Jahre im Online-Katalog der British Library studierte. Die mittelalterlichen Illustrationen zeigen fantasievolle Mischwesen aus Mensch, Tier und Fabelwesen wie Einhörnern und Melusinen – und das häufig am Rande von religiösen Texten. Viele dieser Imaginationen basieren auf den Reiseberichten von Kaufleuten, die damals zu den wenigen Menschen gehörten, die andere Länder und Kontinente bereisten. „Es ist unglaublich, wieviel Kreativität und Imagination die Künstler im sogenannten ‚dunklen‘ Mittelalter hatten. Für mich liegen hier die Anfänge nicht-religiöser Kunst“, begeistert sich Mariia.

Mariia bietet Hauseigentümer:innen außerdem Hausportraits an. Das Bild der gewünschten Hausfassade verwandelt Mariia dann in den ihr eigenen märchenhaften Stil – unter Berücksichtigung aller Wünsche: ob die Lieblingskatze im Fenster, eine Berglandschaft im Hintergrund oder die Liebsten im Garten. Alles sieht so aus, wie es in echt ist – aber eben doch ein bisschen anders.

Wer Mariias Kunst gerne kennenlernen möchte, der kann ihre Ausstellung im Kulturpavillon in Fechenheim besuchen, die vom 9. bis zum 23. April 2022 zu sehen sein wird. Ausgestellt wird ihre fantasievolle Reihe ‚Bestiarium der Quarantäne‘ und eine ganze Serie von Fechenheimer Altstadthäusern.

Eine neue Realität – Leben mit dem Krieg in der Ukraine

Seit dem 24. Februar 2022 ist eine neue Realität nicht nur über Mariia, sondern über uns alle hereingebrochen: Krieg in Europa – in der Ukraine. Mariia sagt uns: „In der Ukraine wussten wir schon lange, dass Russland gegen uns Krieg führen wird. Wir waren darauf eingestellt, für unsere Freiheit kämpfen zu müssen. In der Geschichte musste Freiheit fast immer erkämpft werden.“ Dass es jetzt wirklich so gekommen ist, ist trotzdem ein Schock. „Mein Gehirn kann diesen Krieg nicht akzeptieren“, versucht Mariia uns zu erklären, wie sie sich in diesen Tagen fühlt. „Ich lebe irgendwie in einer Märchenwelt, so als wenn ich im Jahr 2024 leben und mich an die Zeit jetzt nur erinnern würde, einfach nur um irgendwie weiter zu funktionieren. Wenn ich den ganzen Tag nur verzweifelt im Bett liegen bleiben würde, könnte ich niemandem helfen.“

Denn helfen, etwas tun, das will Mariia unbedingt. Sie unterstützt im Moment zwei geflüchtete Familien im Rhein-Main-Gebiet, hilft ihnen bei Wohnungssuche, Behördengängen und Arztbesuchen. In der Ukraine laufen solche Sachen ausschließlich digital, der hiesige Zettelkrieg ist da verwirrend. Trotzdem anerkennt Mariia die plötzliche Flexibilität der örtlichen Behörden, den auf einmal so unbürokratischen, menschlichen Umgang mit den Geflüchteten. Dafür und für die Hilfsbereitschaft der Menschen, die Geflüchtete bei sich zuhause aufnehmen, ist sie dankbar.

Doch die Geschichten, die die Menschen aus der Ukraine ihr von der Flucht erzählen, bestürzen Mariia: „Die Menschen aus der Ukraine haben alles verloren, Zerstörung und Tod gesehen. Es ist schwer, sich ihre Geschichten auch nur anzuhören. Es wird noch lange dauern bis die Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeitet werden können.“ Jeden Morgen ruft Mariia ihre Mutter und ihre Schwester an, die in Kyiv geblieben sind, um zu hören, dass sie noch leben.

Was lässt sie in diesen schweren Zeiten durchhalten? Vielleicht auch die Hoffnung, dass durch diese Krise langfristig Wandel angestoßen werden könnte: Beschleunigung bürokratischer Prozesse in Asyl- und Klimapolitik, vielleicht sogar die Energiewende in Europa. Vor allem aber die Befreiung vom sowjetischen Erbe in der Ukraine und eine Besinnung in ganz Europa auf den Wert der europäischen Werte. Hier wird die zierliche, zarte Künstlerin plötzlich vehement:

„Wenn es um die menschliche Würde geht, muss man bereit sein, dafür zu sterben.“

2 Gedanken zu „Mariia Bykova – Illustratorin und Malerin“

  1. Das Portrait dieser ukrainischen Malerin und ihre Kunstwerke haben mich sehr beeindruckt. Es ist ein Gewinn für Fechenheim sie zu ihren Einwohnern zu zählen.

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