Früher war ich eine ausdauernde, leidenschaftliche Tagebuchschreiberin. Begonnen hatte es in der Pubertät mit dem Buch, das alle Kümmernisse, Geheimnisse und Freuden unvoreingenommen und zuverlässig in sich aufnahm, stillschwieg und niemals etwas ausplauderte.
Jedes neue Tagebuch wählte ich sorgfältig aus. Beim ersten Öffnen knisterte der Buchrücken, das Papier raschelte beim Umblättern, und der Füller glitt mit einem leisen Kratzen über die Seiten.
Mit zunehmendem Alter nimmt die Lust ab, ein Tagebuch zu führen. Vielleicht nimmt aber auch einfach die Zeit ab, wird verdrängt von den vielen alltäglichen, scheinbar unaufschiebbar und sofort zu erledigenden Aufgaben. Sehr sporadisch füllen sich die Seiten nur noch. Ein neues Tagebuch musste ich mir schon lange nicht mehr kaufen.
Heute führe ich wieder regelmäßig Tagebuch. Nicht weil ich im Moment während des Lockdowns mehr Zeit hätte. Oder mehr Muße. Streng genommen ist es ja auch kein „richtiges“ Tagebuch – es ist digital. Eines Tages war es mit einem Update auf mein Smartphone eingezogen: das Kontakt-Tagebuch der Corona-Warn-App. Personen und Orte merkt es sich. Zwei Wochen lang. Danach verschwinden diese Einträge wieder, so als hätte es die Begegnungen gar nicht gegeben. Nicht mehr relevant – für ein mögliches Ansteckungsrisiko. Aber immer noch relevant für mich. Diese inzwischen so selten gewordenen Begegnungen in der analogen Welt, seien sie auch nur kurz, mit Maske und Abstand, draußen beim Spazierengehen.
Jetzt bin ich zur doppelten Tagebuchführung übergegangen, die Seiten meines analogen Tagebuchs füllen sich wieder. Mit Eintragungen, Begebenheiten und Gedanken auf weißem Papier in schwarzer Tinte, die nicht nach zwei Wochen verschwinden.
Verantwortlich i.S.d.P.:
Brigitte Friebertshäuser
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