mütend: zusammengesetztes Adjektiv aus „müde“ und „wütend“. Bezeichnet einen Gemütszustand in Zeiten der Coronapandemie, dem auch die Bedeutung des Adjektivs „fassungslos“ in unterschiedlich ausgeprägter Konzentration beigemischt sein kann. Häufig angewendet im Kontext der Bewertung von Krisenmanagement und Politik in Zeiten der Pandemie. Vgl. auch => „wüde“.
Einordnung im Kontext der Coronapandemie
Kontaktbeschränkungen, Viruslast, Lockdown, PCR- und Antigentests, Abstand, FFP2, Inzidenz, R-Wert, Triage, ECMO, Intensivbettenauslastung, Pre-Print-Server – seit über einem Jahr ist die Pandemie Teil unseres Lebens. Weltweit hat das Coronavirus viele Leben gekostet und noch mehr Leid und Trauer verursacht. Unser bisheriges Leben wurde eingeschränkt und mal mehr, mal weniger auf den Kopf gestellt. Gleichzeitig hat sich unser Wortschatz erweitert.
Es ist anstrengend und beängstigend in und mit einer Pandemie zu leben. Anstrengend, das bisherige Leben mit den neuen Voraussetzungen zu meistern. Das Wort „Multi-Tasking“ war und ist insbesondere Menschen mit Familie, Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen schon lange ein Begriff. Über Möglichkeiten, Unmöglichkeiten und Grenzen wurde und wird viel berichtet. In der Pandemie sind dann auch noch zeitweise wichtige Stützen und Pfeiler weggebrochen, die das Konstrukt der „Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege“ manchmal nur notdürftig aber immerhin doch einigermaßen zusammengehalten haben.
Müdigkeit macht sich breit – müde von den ungeheuren Anstrengungen, alles irgendwie einigermaßen unter einen Hut zu bringen. Müde von den Sorgen: um Angehörige und Freunde, vor Ansteckung und Tod, vor finanziellem Ruin und um die Existenz.
Wut steigt auf – dass sich das Virus nicht beherrschen lässt, dass das Impfen als Lichtblick am Horizont scheinbar viel zu langsam näher kommt. Dass renommierten und kompetenten Wissenschaftlern nicht zugehört wird, sie von Politik und Gesellschaft ignoriert werden. Dass Verschwörungstheoretiker und Coronaleugner Konjunktur haben. Dass die Warnungen von Ärzten ungehört verhallen und sich nun in der dritten Welle Krankenhäuser und Intensivstationen wieder mit Covid-19-Patienten füllen, von denen viele sterben werden – allein und ohne ihre Angehörigen. Dass viele Covid-Genesene mit Langzeitfolgen zu kämpfen haben werden.
Fassungslos ist der Blick – auf die politischen Verantwortlichen, die sich aus der Verantwortung ziehen und selbige zurückdelegieren auf den Einzelnen, auf das Ungeheuer der deutschen Bürokratie und auf das Durcheinander der Maßnahmen. Erstaunlich, wie elastisch sich Vereinbarungen auslegen lassen, wie vollmundig vieles angekündigt wird, was dann so nicht, ganz anders und wenn überhaupt viel später eintrifft: Osterruhe, Impfdosen, Schnelltests und Selbsttests.
Konkrete Anwendungsbeispiele
Mütend und wüde sind viele, die sich seit über einem Jahr an die Regeln halten – Abstand, Hygiene, Maske und Lüften. Die seit über einem Jahr ihre sozialen Kontakte eingeschränkt haben, die überfordert, überanstrengt und einsam sind. Die aber trotzdem weitermachen, sich an all das halten, was das Virus eindämmt, eine Übertragung verhindert. Die sich fragen, was sie selbst denn noch der deutlich ansteckenderen Virusvariante B 1.1.7. entgegensetzen können, wenn sich die Politik nicht dazu entschließt, die dritte Welle mit zusätzlichen Maßnahmen zu brechen. Die sich fragen, wann und wo sie für Angehörige (die teils in anderen Bundesländern leben) oder sich einen Impftermin vereinbaren können, wenn Server überlastet, Leitungen besetzt und zuständige Stellen überfragt sind. Die sich fragen, was passiert, wenn sich die Kinder in Kita oder Schule anstecken, weil Schnelltests nicht vorhanden sind oder nur auf freiwilliger Basis gemacht werden. Und die sich zurecht fragen, wie denn ein Schnelltest vor Ansteckung schützen soll – bislang hat zum Beispiel ein Schwangerschaftstest noch keine Schwangerschaft verhindert…
Leider gibt es aber nicht nur in Bezug auf die Pandemie viele Gelegenheiten mütend und wüde zu sein. Weitere Anwendungsbeispiele finden sich im Hinblick auf den Umgang mit der Klimakrise.
Grammatik
Steigerungsformen: mütend (Positiv), mütender (Komparativ), am mütendsten (Superlativ)
Starke, schwache und gemischte Beugung: vgl. wütend
Gut zu wissen: Mütend gehört noch nicht in den Wortschatz des Goethe-Zertifikats B1. Das Adjektiv wird häufig auf Twitter verwendet: #mütend.
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